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Ein Kinobesuch (AL DOILEA JOC, Corneliu Porumboiu)

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Am 11. Februar 2014 um 19:15 Uhr wurde im Rahmen der 64. Internationalen Filmfestspiele Berlin der Film AL DOILEA JOC des rumänischen Regisseurs Corneliu Porumboiu aufgeführt. Der Delphi Filmpalast mit einem Fassungsvermögen von 725 Plätzen war fast ausverkauft. Während sich der Kinosaal immer noch mit Zuschauern füllte, konnte ich in der Sitzreihe hinter mir ein Paar belauschen, das sich auf Rumänisch unterhielt: Was sollte man wohl von diesem Film erwarten? „Ein Fußballspiel, oder?“, fragte die Frau. In mild belehrendem Ton erklärte der Mann, dass es hier nicht einfach nur um ein Fußballspiel gehen würde. Wichtig sei vielmehr der vom Regisseur und seinem Vater, dem Schiedsrichter des Spiels, eingesprochene Kommentar, der eine analytische Metaebene konstruiere. „Eigentlich hätte ich noch Durst.“, sagte der Mann. „Soll ich mir ein Bier holen?“ „Du wirst doch jetzt nicht im Kino ein Bier trinken wollen!“, entgegnete die Frau. „Wieso nicht? Zu proletenhaft, oder was?“ „Ich weiß nicht.“, sagte die Frau. „Klar.“, sagte der Mann. „Das Kino ist ja auch sicher voll mit Proleten.“ „Das meinte ich nicht.“, sagte die Frau.“ Immerhin schauen wir uns ein Fußballspiel an. Dazu gehören eigentlich Sonnenblumenkerne und Bier.“, witzelte der Mann. So ging der Dialog weiter, und es deutete sich an, dass der Mann möglicherweise Filmemacher oder jedenfalls in der Filmbranche tätig sein könnte, da er anfing, sich darüber auszulassen, was für eine Art von verkopftem Problemfilm über sein Heimatland er wohl machen müsste, um in den Genuss diverser Filmförderungsgelder zu kommen. Den Deutschen gefielen solche Filme nämlich: „verkopft“, „inhaltsschwer“ (der Mann verwendete tatsächlich die deutschen Ausdrücke). Berlin gehört zu den wichtigsten Filmfestivals weltweit – mit diesem Thema wurde das Gespräch fortgesetzt. Sundance, Toronto, Venedig. Und Cannes? Versteht sich von selbst, auch Cannes. Venedig, Cannes, Berlin – Berlin, Cannes. Dazu Venedig. Und eben Sundance. Ein bisschen Loriot, ein bisschen Caragiale. Dann betraten Christoph Terhechte, der Programmleiter der Forum-Sektion, und der Regisseur die Bühne, begrüßten das Publikum und kündigten an, dass es nach der Vorführung ein Q&A geben würde. Die Lichter gingen aus, auf der Leinwand erschien zuerst ein Warnhinweis gegen Filmpiraterie, darauf folgte der überraschend nichtssagende und beliebig wirkende Berlinale-Trailer. Sollte ein Filmfestival dieser Geltung sich nicht von etwas Einfallsreicherem repräsentieren lassen können als von einem computeranimierten Clip in rot und gold, mit banal-abstrakten, fließenden Swooshes und Feuerwerk? Und dazu eine Art von Musik (nennen wir es einmal Ambient Rock), die vielleicht zu einem Versicherungskonzern passt, der sich in seinem PR-Film glamouröser geben möchte als er ist. Aber was will die Berlinale damit? Will man umgekehrt suggerieren, dass das Festival in Wirklichkeit sehr viel langweiliger sein könnte als man denkt? Gott behüte.

Aber jetzt zum Film: Kurzer Vorspann mit Produktionscredits und so weiter, einfach und schnörkellos gehalten, weiße Schrift auf schwarzem Grund, ohne Musik. Ein kurzer Prologtext, in welchem erläutert wird, dass Corneliu Porumboius Vater früher oft Anrufe von Menschen bekam, die am Ausgang bestimmter Spiele ein besonderes Interesse hatten. Die Videoaufzeichnung des Spiels zwischen den beiden dominierenden Mannschaften der rumänischen Fußballliga, zugleich ein immer wieder heiß umkämpftes Bukarester Stadtderby, Steaua gegen Dinamo, wird eingeblendet. Es schneit, und bis zur Revolution im Dezember 1989 wird noch ein Jahr vergehen. Adrian Porumboiu aus Vaslui befand sich zum Zeitpunkt der Austragung im besten Schiedsrichteralter von 38 Jahren, der Sohn Corneliu war damals 13 Jahre alt. Sie erinnern sich gemeinsam zurück an das Spiel und allgemein an das Leben im Rumänien der 1980er Jahre. Auch ich erinnere mich – nicht an das Leben im Rumänien der 80er Jahre, denn ich habe als kleiner Junge das Land mit meinen Eltern bereits 1981 verlassen. Aber das im Film erwähnte Pokalendspiel der europäischen Landesmeister beispielsweise, das Steaua als erste Mannschaft aus dem Ostblock 1986 in einem dramatischen Elfmeterschießen gegen den FC Barcelona gewann (der Torwart Helmuth Duckadam hielt vier Elfmeter), gehört zu den ersten Fußballspielen, bei denen ich mich bewusst daran erinnern kann, sie im Fernsehen verfolgt zu haben – ich durfte ausnahmsweise länger aufbleiben und mitfiebern. Die Freude über den Triumph „meines“ Teams ging so weit, dass ich mich am nächsten Tag dazu entschloss, „einen auszugeben“. Ich lud also ein paar meiner verdutzten Klassenkameraden zu einem Eis ein – nun ja, gezahlt hat natürlich mein Vater. Bald darauf fand die Fußball-Weltmeisterschaft in Mexiko statt, und ich erinnere mich noch heute an das grandiose Viertelfinale zwischen Frankreich und Brasilien, geleitet von einem rumänischen Schiedsrichter, wieder ein Elfmeterschießen, das mir zum ersten Mal die mögliche Grausamkeit und Tragik eines Fußballspiels bewusst machte: Meine Lieblingsspieler des Turniers, Platini (der damals noch kein übergewichtiger doofer Bürokrat, sondern ein unglaublich eleganter und torgefährlicher offensiver Mittelfeldstratege war) und Socrates, der coole bärtige Revoluzzertyp, der Elfmeter aus dem Stand schoss und Medizin studiert hatte, standen sich gegenüber, aber nur einer von ihnen konnte ins Halbfinale einziehen – es waren Platini und seine Franzosen, die dann gegen Deutschland ausschieden. Ich erinnere mich an meine Enttäuschung über den deutschen Sieg, da ich nicht unbedingt Rummenigge und Völler die Daumen gedrückt hatte (mein fußballerischer Patriotismus war damals noch schwächer ausgeprägt als heute). Aber ich erinnere mich auch an meine paradox erscheinende Enttäuschung darüber, dass die deutsche Mannschaft das Finale gegen die als Favoriten geltenden Argentinier verlor – mit ihrer zwischenzeitlichen Aufholjagd hatten mich die aufopferungsvoll kämpfenden Teutonen dann doch irgendwie begeistert.

Seit einigen Jahren sind im Spätprogramm der Dritten ja hin und wieder alte Fußballspiele in ganzer Länge zu sehen – Fußballspiele, die in den 70er und 80er Jahren noch auf eine wunderbar unaufgeregte Art und Weise kommentiert wurden, fast so, wie es auch A. und C. Porumboiu tun, die manchmal über gefühlte zwei bis drei Minuten gar nichts und über andere Phasen hinweg sehr wenig sagen – Fußballspiele, die heute nach 30 oder 40 Jahren als Retro-Sendeformat vermutlich vor allem eine gewisse Nostalgie bedienen, wobei sich diese Nostalgie beim Anschauen eines alten Fußballspiels nicht auf Fußballhistorie zu beschränken braucht. Vielleicht gibt es ja einerseits Menschen, die dabei an ihre erste große Liebe denken, an die Zeit, in der sie noch lange Haare hatten, Schlaghosen trugen und Deep Purple hörten. Und vielleicht gibt es andererseits Menschen, die sich diese Spiele, bei denen man weiß, wie sie ausgegangen sind, so ansehen, wie sich Filmkritiker oder Filmwissenschaftler Filme ansehen, nämlich analytisch im Hinblick auf die Spielstrategien vergangener Zeiten, analytisch im Hinblick auf Regeländerungen, die sich auf die Spielanlage ausgewirkt haben, oder einfach analytisch im Hinblick auf die Dynamik, um nicht zu sagen: Dramatik des betreffenden ausgesuchten Spiels. Und so beziehen sich die Kommentare der Porumboius auch tatsächlich zu einem großen Teil auf das Fußballspiel als Fußballspiel: Beiden Mannschaften gelang es, trotz der widrigen Platzverhältnisse eine mehr als ordentliche Partie zu bestreiten. Ein immer wiederkehrender Diskussionspunkt ist die recht großzügige Auslegung der Vorteilsregel. Freilich ist selbst von hier aus die Distanz zu gesellschaftspolitischen Themen nicht groß, wenngleich diese Dimension durchgehend nicht allzu offensiv in den Vordergrund gerückt wird. Aber wenn ich all die Spieler sehe, die dann in den 90er Jahren eine erfolgreiche internationale Karriere hingelegt haben – wenn also Spieler wie Hagi, Popescu und Petrescu oder Raducioiu als blutjunge Burschen rennen, grätschen, schießen, foulen, so denke ich doch unweigerlich auch an die politischen Ereignisse, die für diese Spieler den ungehinderten Weg in den Westen freimachten. Und wieder fange ich an, mich zu erinnern, wie ich im Dezember 1989 mit meinen Verwandten wie gebannt vor dem Fernseher saß, um möglichst keine einzige Meldung über die Geschehnisse in Timisoara, Bukarest und anderen rumänischen Städten zu verpassen. Ich erinnere mich, welch eine bizarr armselige Figur Ceausescu in den letzten Stunden seines Lebens abgab, und ich erinnere mich an das schon damals präsente, wenn auch diffuse Gefühl, durch die Fernsehbilder einer ganz und gar merkwürdigen Inszenierung beizuwohnen, einer Inszenierung in schmutzigem Schnee, so wie der Schnee auf dem Fußballplatz, der bald nur noch in jenen Ecken sauber und unberührt ist, in die sich der Spielfluss nur selten oder gar nicht verirrt. Und dann fange ich an mich zu fragen: Woran erinnert man sich beim Anblick dieses Spiels, wenn man in den 80ern noch nicht einmal geboren war? Woran erinnern sich diejenigen Zuschauer, die sich nie für Fußball interessiert haben? Und vor allem: Was sehen jene Zuschauer, die keinen rumänischen „Migrationshintergrund“ haben, in diesem Film? Vielleicht hat man dann die nötige Distanz, um solche Sätze schreiben zu können wie: „Ein imaginäres Alternativspiel folgt aufs nächste, jedes evoziert andere Bilder, andere Spielstände, andere Loyalitäten und andere Folgen. Wollte man fragen, welches Spiel die meiste Aussagekraft besitzt, dann wäre die Antwort wohl: das banalste.“ So schreibt jedenfalls James Lattimer im Berlinale-Katalogtext, und ich frage mich: Wieso ist – vorausgesetzt, dass er sich auf das im Film gezeigte Spiel bezieht, wovon man doch wohl ausgehen kann – ausgerechnet dieses Spiel für ihn „das banalste“? Hans Hubert Vogts, dem ich mich in diesem Fall anschließe, hätte dazu gesagt: „Sie haben anscheinend ein anderes Spiel gesehen als ich.“

Aber zurück zum Film, zurück ins Kino: Das Spiel läuft, es läuft sogar relativ flott. Regelmäßig wird für „die Zuschauer, die sich später eingeschaltet haben“, der Zwischenstand eingeblendet. Ein schöner Farbkontrast: braun-grau-weiß der grobkörnige, realsozialistische Hintergrund, im Vergleich dazu ein beinahe leuchtendes, sommerliches Gelb für die Einblendungen: 20. Minute, Steaua-Dinamo 0:0; 30. Minute, Steaua-Dinamo 0:0; Halbzeitstand: Steaua-Dinamo 0:0. Wenigstens in manchen der anderen Stadien scheint es torreicher zuzugehen, auch über die dortigen Ereignisse werden wir jedenfalls durch Zwischeneinblendungen des jeweiligen Spielstandes auf dem Laufenden gehalten. Langsam fällt uns tatsächlich auf, was uns die Porumboius in ihren Kommentaren erläutern: Kommt es zu Diskussionen oder Rangeleien zwischen den Spielern, wechselt die Bildregie auf eine Kamera, die auf das Tribünenpublikum gerichtet ist. Ob die dahinterstehenden ideologischen Vorgaben tatsächlich verlogener sind als die vulgär-liberale Ideologie der totalen Durchdringung und Vermarktung des Sports? Es gibt allem Anschein nach überhaupt nur drei Kameras im Stadion, es gibt keine „Super-Slomos“ und keine von Computern errechneten (oder vielleicht frei erfundenen, wer weiß das schon?) Statistiken zu Ballbesitz und Laufwegen. Statt einer Werbebande gibt es im Stadion lediglich ein paar handgemalte Schilder, die unter anderem darauf hinweisen, dass durch Papier-Recycling jeder dazu beitragen könne, den Wald zu retten. Ich lache mit dem Rest des Kinopublikums, wenn die Kamera bei einer Spielunterbrechung wieder einmal keine diskutierenden oder gar raufenden Spieler, sondern stoisch im Schnee stehende Zuschauer zeigt. Ich lache mit dem Rest des Kinopublikums, als Adrian Porumboiu mit einer lakonischen Bemerkung darauf hinweist, dass die Regie einmal das Wegblenden bei einer „Rudelbildung“ anscheinend vergessen hat. Ich lache mit dem Rest des Kinopublikums über die Meta-Witzchen, die Vater und Sohn immer wieder einstreuen: „Ist eigentlich wie ein Film, das Spiel. Vielleicht mache ich wirklich einen Film daraus.“ – „So einen Film würde sich doch kein Mensch anschauen.“ Oder: „Der Schnee gefällt mir – hat was Poetisches.“ – „Da ist nichts Poetisches.“ Aber dann sagt der Vater doch: „Die beiden Mannschaften, der Schnee – das ist archaisch.“ Und tatsächlich wird es mindestens einmal poetisch. Es ist vielleicht eine unfreiwillige, deplatziert wirkende Poesie, und gemeinsam mit dem Rest des Kinopublikums ist meine erste Reaktion wieder ein Lachen, aber immerhin: Irgendwann um die 80. Minute herum sehen wir für einige Sekunden unvermittelt einen Baum, der vom immer noch dichten Schneetreiben umgeben ist. Die Kamera zoomt gekonnt wieder heraus auf die Fankurve und schließlich auf die Totale, die auch einen Teil des Spielfeldes mit einbezieht. Ich würde gerne glauben, dass dieses Bild subversiv sein will, dass der Kameramann andeuten wollte, dass er zu diesem Zeitpunkt ganz woanders sein und eigentlich etwas ganz anderes machen möchte, als für das Staatsfernsehen ein Fußballspiel aufzunehmen. Dann wird das Spiel abgepfiffen, Endstand: 0:0. Händeschütteln auf dem Platz, Applaus im Kino. Die Lichter gehen an, das Q&A war sicherlich interessant, aber ich muss gleich weiter ins Zeughaus, wo in der letzten Vorstellung des Abends experimentelle Kurzfilme aus den Jahren 1921-1926 präsentiert werden. Ich bin ja nicht wegen Nespresso Man aka George Clooney zur Berlinale gefahren


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